Yakfilter bloggt wieder...
Donnerstag, 24. Februar 2005
Zweiter Bericht

Mittwoch, 23. Feber

Es ist mittlerweile wesentlich wärmer geworden, außer beim Unterricht werde ich meine lange Unterhose wohl nicht mehr brauchen. Am Freitag halte ich meinen ersten eigenen Unterricht, erst zwei Stunden Literaturgeschichte, dann noch zwei Stunden Textanalyse. Am Dienstag hab ich das erste Mal hospitiert und war sehr überrascht über das wirklich hohe Niveau. Aber ich will hier eigentlich weniger über die Uni, als vielmehr über Albanien selbst berichten. Am Samstag geh ich vermutlich ein Fußballmatch anschauen, der SK Tirana trifft nämlich auf Durrës. Insgesamt gibt es drei Vereine in Tirana, Partizan, die ehemalige Kommunistenmannschaft, die im übrigen der erste Gegner von Wacker Innsbruck im UEFA-Cup war (1970) und vor allem dank der damaligen Neuerwerbung Poldl Grausam in beiden Spielen besiegt werden konnte, Dinamo, das ist der Polizeiverein, und eben den SK. Letzterer hat blau-weiße Vereinsfarben und führt in der Tabelle mit 10 Punkten Vorsprung vor Elbasan. Ergys, der Bibliothekar der Germanistik, ist Fan desselben und nimmt mich mit.
Eben war ich in einem Cafe, in dem lief Championsleague, und die Stimmung war wie am Tivoli. Ich hab mich da mit Klodian getroffen, der ist auch Student und kommt aus Saranda, wo es ziemlich guten Fisch geben soll. Er hat mir anschließend eine wirklich günstige Mensa gezeigt, in der ich wieder einmal erstaunlich schmackhaftes Essen bekam. Albanien ist offensichtlich ein Land, in dem sogar ich einfach irgendwas bestellen kann, bis jetzt hat’s mir immer geschmeckt. (Es war diesmal ein Stück Kuh mit Kartoffeln und einer rötlichen Sauce) Es war allerdings wieder einmal ein ziemlicher Kampf darum, daß ich auch zumindest einen Teil der Rechnung bezahlen durfte. Klodian erzählte mir sehr viel, unter anderem, daß die albanischen Handymastenaufsteller keine Grenzwerte zu beachten hätten und deshalb die meisten Leute, die in deren Nähe wohnten, über kurz oder lang Krebs bekämen. Sehr beruhigend war zu erfahren, daß sich ein solcher Mast auch in unmittelbarer Nähe meines Zimmers befindet.
Gestern war ich auf einer Party in der Innenstadt, zu der mich der sowohl nette als auch witzige österreichische Botschaftssekretär eingeladen hatte. Die Bar hieß Enigma und war alles andere als leicht zu finden und grad ist der Strom ausgefallen, weswegen ich zum ersten Mal meine Kerze angezündet habe, leider muß ich jetzt nochmal von dem Passanten erzählen, der auf meine Frage nach dem Weg zur Enigma-Bar erst seinen Schwager anrief, der das dann zehn Minuten recherchierte, um anschließend zu empfehlen, mich dorthin zu bringen. Das tat der Passant dann auch, zusammen mit zwei von seinen Freunden stieg ich in seinen Mercedes ein, der beim Ausparken nicht gerade wenige andere Autos bzw. Passanten in erhebliche Gefahr brachte. Das mit dem Verkehr ist überhaupt so ein Problem in Tirana, weil nämlich im Kommunismus niemand Auto fahren durfte, gibt es jetzt einen ziemlichen Nachholbedarf, fast jeder hat eins und wer eins hat, geht so gut wie keinen Schritt zu Fuß. Deshalb ist fast dauernd und fast überall Stau und es liegt ständig ein leichter Hauch von Diesel in der Luft. Ampeln sind mehr Requisiten, man geht einfach über die Straße, wenn man das will, und die Autos versuchen dann, einem auszuweichen, was bis jetzt immer geklappt hat. Die Autofahrer sind das Ausweichen ziemlich gewohnt, weil sie dasselbe ja auch bei den unzähligen, bereits erwähnten Löchern in der Straße tun müssen. Man kann es nicht anders ausdrücken, der Straßenzustand ist katastrophal, aber sie tun was.
Wie auch immer, wir fuhren in Richtung Enigma-Bar und hielten immer wieder, um irgendwen nach der genauen Lage zu fragen, wobei wir allerdings ständig in andere Richtungen geschickt wurden, bis wir (bzw. nicht ich) letztendlich ein paar Polizisten fragten, und die mußten es ja wissen. Sie wußten es auch. Ich gab dem hilfreichen Passant zum Abschied noch meine Telephonnummer und hoffe, daß er mich mal anrufen wird.
Der Abend in der Enigma-Bar war dann auch nett, ich lernte einen Violinisten aus Shkódra kennen und einen Vertreter der ÖMV, der seit einem Jahr, ich glaub in Vlora, nach Öl bohrt und nächste Woche wieder heimfährt. Auf meine Frage, ob er schon welches gefunden habe, meinte er lakonisch: “Das wird sich noch herausstellen.” Viel Glück, ÖMV! Es ist schon erstaunlich, in welchen Kreisen ich mich hier bewege. Anschließend waren wir noch im Kannon-Club, in dem ich zum zweiten Mal an diesem Abend “Life is live” hörte. Hier wurde getanzt, es gab zwar keine Tanzfläche, aber das hinderte die Anwesenden nicht, an allen Stellen des Lokals, die nicht von Tischen versperrt waren, rhytmische Bewegungen von sich zu geben. Dazu wurde immer wieder im Takt mitgeklatscht, und ein wohlbeleibter, älterer Herr spielte leidenschaftlich Lufttrompete. Im Laufe des Abends wurde dann auch die Musik besser, sogar Renato Carosone fand seinen Weg auf den Plattenteller, was mich doch sehr erfreute und peinlicherweise auch zum Tanzen bewegte. Ich wurde anschließend von einem Botschaftsmitarbeiter nach Hause gebracht und erlebte hier, wie schon in der Nacht zuvor, ein Gewitter, das sich gewaschen hatte. Obwohl ich sehr massive Fensterscheiben habe, fürchtete ich doch sehr ein Zerbrechen derselben, das ganze Zimmer vibrierte von den explosionsartigen Donnerstößen. Ich muß zugeben, daß ich mich zum zweiten Mal in meinem Leben vor einem Gewitter fürchtete, das erste Mal war im übrigen während meiner glorreichen Zeit als Soldat der österreichischen Armee, als ich Nachtdienst neben dem Munitionsdepot zu schieben hatte und beim Zählen nach dem Blitz gerade bis “einund...” kam, diesmal war ich immerhin bis “vierundzwanzig” gekommen und es war trotzdem noch heftiger. Ich hatte dann auch einen sehr argen Alptraum, aber das gehört nicht hierher, weil derselbe in Paris und Innsbruck spielte.
So was wie Schüsse hab ich im übrigen letztens auch vor meinem Fenster gehört, sie entpuppten sich allerdings bei näherer Betrachtung als Feuerwerk.
Mittlerweile hab ich auch endlich meine Miete bezahlen können, trotz der Schildbürgerstreiche, die mir die Trotteln von Visa gespielt haben, kann ich jetzt endlich Geld abheben (Thx to hohi). Aber außer der Miete komm ich ohnehin fast ohne Geld aus, weil ich dauernd eingeladen werde. Jens, das ist der deutsche Lektor vom DAAD, hat mir gesagt, man müsse einfach noch brutaler als die Albaner auf das Bezahlen bestehen, bisher hab ich’s aber erst zweimal geschafft. Er hat mir desweiteren erklärt, warum die Albaner so auf Franz-Josef Strauss stehen: Weil er der einzige westliche Politiker war, der während den Zeiten des Kommunismus einen Besuch in Albanien machte.
Wie mir Klodian erzählte, ist gleich neben meinem Wohnhaus der Platz der Demokratie, an dem 1990 (ja, ja, ich weiß schon, das war eigentlich erst im Feber 1991) die Revolution losging. Von hier aus marschierten die Demonstranten in Richtung Skanderbegplatz, wo sie das Denkmal für den 1986 verstorbenen Diktator Enver Hoxha stürzten. Dem albanischen Beispiel folgten bekanntlicherweise anschließend auch die anderen, heute ex-kommunistischen Länder (wie z.B. die DDR).
Während des Kommunismus war es den Frauen im übrigen verboten, sich zu schminken, was sie aber jetzt nachholen, wobei man ihnen sehr Unrecht tun würde, wenn man behauptete, daß sie das übertreiben, aber sie sind schon ziemlich stylisch, falls man das so schreibt, und legen augenscheinlich sehr viel Wert auf ihr Äußeres. Klajt, ein sehr witziger Student, der mir auch geraten hat, mir die Haare schneiden zu lassen (“Ich weiß schon, das hat nichts mit deinen inneren Werten zu tun, aber du wirst hier leichter Kontakte knüpfen können, wenn du dir die Haare schneidest”), hat gemeint: “Im Kommunismus sahen alle Frauen wie Männer aus.”
Ich hoffe, am Wochenende endlich mal aus Tirana rauszukommen und auch das Hinterland etwas kennenzulernen, ich bin sehr froh, Klodian kennengelernt zu haben, weil ich ja auch vor allem auf den Süden spitz bin, namentlich auf die Steinstadt Gjirokastra und auch auf die magische Stadt Butrinti. Klodian stammt nämlich aus Saranda, das ist gleich vor Korfu und nahe den beiden eben erwähnten Orten. Und Klajts Rat, zum Berber zu gehen, werde ich auch in den nächsten Tagen befolgen. Bis dahin sollte mir auch Jens dabei geholfen haben, endlich meine bisher sehr spärlichen Photos auf den Bibliothekscomputer zu überspielen, weswegen ich eine dringende Bitte an mortimer habe: Bitte schick mir noch ein mail, um mir zu erklären, wie ich dieselben dann hier veröffentlichen kann. Thx a lot.
Ich hoffe, ihr friert nicht zu sehr (hä hä) und habt es auch sonst nett,
Mirupafshim, Yakfilter

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