Yakfilter bloggt wieder...
Sonntag, 1. Mai 2005
Schildkroeten, Schuesse, Dynamit und Fische

Als ich letztens Zigaretten kaufen war, hab ich dort einen Bekannten getroffen, dessen Namen ich zwar nicht weiss, der aber eine wahre Frohnatur ist. Er hatte noch einen Freund dabei, beide Englisch-Studenten im letzten Jahr, und wir haben uns ein wenig unterhalten, bis ein dritter dazukam, der mir die Frage stellte, wie meiner Meinung nach die Zukunft Albaniens aussehe. Wie fast immer auf diese Frage habe ich geantwortet: It will go on, but maybe slowly.
Darauf haben alle drei gelacht und die Frohnatur hat gemeint, dass es im Schneckentempo vorangehe, um mir anschliessend zu erklaeren, dass man in Albanien im Allgemeinen nicht Schnecken sondern Schildkroeten fuer dieses gefluegelte Wort heranzieht, worauf wir uns ein wenig ueber Schildkroeten unterhielten. Die Frohnatur stammt naemlich aus dem Norden, aus einem Dorf, in dem es anscheinend jede Menge Schildkroeten gibt. Ich hab ihn gefragt, ob er Schildkroeten mag, was er aber verneinte, sie waeren ihm zu ungeschickt. Und eben zu langsam. Als er noch ein Kind war, fuegte er hinzu, pflegte er sie wie einen Fussball zu kicken. Den Schildkroeten macht das naemlich gar nichts aus, weil sie ja einen Panzer tragen. Allerdings raeumte er ein, dass die Kinder heutezutage die Schildkroeten viel brutaler kicken, bis sie bluten.
Wie auch immer. Davor hab ich mit zwei anderen geredet, der eine stammte eigentlich aus Skhodra, weil aber sein Urgrossvater dort in den 50ern oder 60ern jemanden abgeknallt hatte, musste die ganze Sippe in eine andere Stadt umziehen und den Nachnamen wechseln. Er koenne zwar mittlerweile wieder nach Skhodra, weil 1982 Frieden zwischen den Sippen geschlossen wurde, aber er interessiere sich eben nicht fuer Skhodra. Anschliessend erzaehlte er mir ein bisschen von den 1997er Unruhen. Ich habe darueber inzwischen ein paar Geschichten gehoert, allerdings scheint es den meisten Albanern eher peinlich zu sein, darueber zu reden. Soweit ich es verstanden habe, gab es damals eine oder mehrere Banken, die immer hoehere Zinsen anbot(en), bis ueber dreissig Prozent, und Ende 96 bzw. Anfang 97 ist das dann eben zusammengebrochen. Im Maerz 97 gab es dann immer wieder Demonstrationen und schliesslich pluenderte die Bevoelkerung die Waffendepots des Militaers und nahm mit, was ging. Die Flugzeuge konnten sie nicht mitnehmen, daher haben sie sie einfach kaputt gemacht. Aber es gab angeblich Bauern, die ihre Felder fortan mit Panzern bestellten. Trotzdem war keine Rede von "Waffen zu Pflugscharen".
So gut wie jeder Albaner ergatterte sich eine Kalashnikow (keine Ahnung, wie man das schreibt), die viele heute noch zu Hause haben. Die Polizei bittet zwar die Bevoelkerung immer wieder darum, diese wieder herzugeben und es scheint auch sporadisch Razzien in Wohnungen zu geben (woran ich nicht wirklich glaube) und die Strafen sind sehr hoch, dennoch haben noch sehr viele ihre Kalashnikow daheim. Allerdings wurde beiweitem nicht das gesamte Arsenal gepluendert, denn der Grossteil der albanischen Waffen soll in den zahlreichen Schaechten und Gaengen in den Bergen versteckt sein, die durch Veranlassung von Enver Hoxha gegraben worden waren.
Waehrend der Unruhen, die nicht ueberall gleich lang und heftig waren, ging in so ziemlich jedem Haeuserblock jede Nacht irgendwo ein Fenster auf, und dann schoss jemand mit seiner Kalashnikow ein paar mal in die Luft. Oder auch in eine andere Wohnung. Auch auf der Strasse wurde geschossen, mir wurde von jemandem erzaehlt, er habe sich einmal gerade auf dem Heimweg befunden, als ihm drei Jugendliche recht panisch entgegengelaufen kamen, worauf er, weil er schon wusste, warum die liefen, sich sofort auf den Boden geworfen hat. Ein Mann mit einer Kalashnikow tauchte auf und und schoss den dreien hinterher, schoss das ganze Magazin leer, traf auch einen in die Wade und entschuldigte sich hinterher bei meinem Bekannten, dass er in diese Angelegenheit hineingezogen worden war. Derselbe hatte allerdings auch eine Kalashnikow zu Hause, die eines Abends sein Vater stilgerecht in einem Geigenkoffer nach Hause gebracht hatte. Vor einem Jahr hat er sie der Polizei zurueckgegeben...
Jemand anderer erzaehlte mir, dass es zwar schon abging, das Leben aber nach wie vor weiter gegangen waere, mit rauchen, essen, Disco gehen usw. Ich habe ihn gefragt, ob das nicht trotzdem staendig lebensgefaehrlich gewesen waere, was er jedoch verneinte, gefaehrlich waere es zwar schon gewesen, aber gestorben waeren dabei hauptsaechlich Leute, die vorher schon jede Menge Dreck am Stecken gehabt haetten und an denen nun Rache veruebt worden war. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass ich meine Informationen vor allem von Leuten aus Tirana habe und in Tirana ging es nicht so ab wie anderswo. In Skhodra, Vlora oder auch Elbasan hat sich zu dieser Zeit anscheinend wirklich niemand nach Einbruch der Dunkelheit auf die Strasse gewagt und es haben sicher auch mehr Menschen dran glauben muessen, als es mir kolportiert wird.
Aber zu dieser Zeit wurde nicht nur geschossen, es wurde auch viel randaliert und zerstoert. Dinge, Einrichtungen etc., die vormals in Staatsbesitz gewesen waren. Sehr viele landwirtschaftliche Flaechen wurden kaputt gemacht, Baeume umgehauen usw. Aus einer Fabrik wurde eine Oelleitung in einen See gelegt, der natuerlich heute immer noch voellig tot ist. Man kann sagen, dass grosse Teile der ohnehin duerftigen Infrastruktur von der eigenen Bevoelkerung zerstoert wurden, das wird aber jetzt wieder aufgebaut. Wenn auch langsam, so doch fast ueberall. Albanien ist eine Riesenbaustelle.

An der Grenze zu Mazedonien liegt der Ohridsee, der als einer der schoensten Plaetze des Balkans gilt. In diesem See gibt es eine Forellenart, Koran mit Namen, die die wohlschmeckendste Forelle der Welt sein soll, eine aehnliche Art gibt es sonst nur in irgendeinem See, ich glaube, in Sibirien. Allerdings gibt es im Ohridsee die meisten davon auf der mazedonischen Seite, weil die Albaner da staendig mit Dynamit gefischt haben und das wurde den Koranen irgendwann zu laut und sie sind nach Mazedonien geschwommen. Seit zwei Jahren ist das Dynamitfischen in Albanien zwar verboten, aber den Fischen scheint es in Mazedonien gut zu gefallen.
Ich habe erfahren, dass es eine Studie gibt, derzufolge jeder Einwohner Tiranas pro Jahr 40 Kilogramm Staub schluckt. Das bedeutet fuer meinen dreimonatigen Aufenthalt also 10 Kilo. Ich spuer die Verschmutzung hier ausserdem an meiner Haut, zwar habe ich keine argen Ausschlaege, aber doch immer wieder, meine Kopfhaut ist voellig im Arsch, da nuetzt auch zweimal am Tag Duschen nichts. Abgesehen von viel wichtigeren Gruenden bin ich daher sehr froh, dass ich in ca. 2 Wochen die Rueckreise antreten kann. Albanien ist ein aufregendes, ein sehr, sehr freundliches Land, in Tirana herrscht eine sehr entspannte und angenehme Atmosphaere, und trotzdem freu ich mich wie wahnsinnig auf daheim.
Mirupafshim
Yakfilter

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